Jeder kennt dieses Gefühl, das uns zögern lässt, wenn es um das Lesen der Kommentare bei bestimmten Beiträgen in den sozialen Netzwerken geht. Wir wissen, was uns erwartet: Kommentare, die leider oft dafür sorgen, dass wir mit dem Kopf schütteln, wütend werden und uns fragen, warum User in einer Online-Diskussion den Anstand verlieren und ihnen für ihre oftmals haltlosen Argumente und hasserfüllten Meinungen auch noch Raum gegeben wird.
Doch dann ist es in der Regel auch schon zu spät. Wir regen uns über Kommentare auf, die andere Menschen beleidigen, die voller Kraftausdrücke und Beleidigungen sind und die viel zu oft auch aus radikalen politischen Überzeugungen heraus geschrieben wurden. Alle haben eines gemeinsam, sie setzen den Adressaten als Menschen und seine Meinungen und Handlungen herab. Wir leben in dem Land der Dichter und Denker, aber trotzdem ist das Internet überfüllt mit sprachlich fragwürdigen Hasskommentaren. Laut Artikel 1 des Grundgesetzbuches, ist die Würde eines Menschen unantastbar. Doch das gilt anscheinend nicht für den Bereich der Kommentarfunktionen. Wie konnte es so weit kommen? Warum beschäftigen wir uns heute mit Cyber-Mobbing, unter dem vor allem viele Jugendliche leiden? Warum halten wir uns von Diskussionen bei Facebook fern, weil diese zu oft von Menschen dominiert werden, die einfach nur ihren Hass verbreiten möchten?
Die Anonymität des Internets
Hass im Internet gibt es schon lange. Früher war er häufig in Foren zu finden. Dort gab man sich einen anonymen Benutzernamen und konnte drauf los kommentieren und diskutieren. Diese Räume wurden sehr wohl auch missbraucht, aber die Reichweite der Beiträge war im Vergleich zu heute gering. Außerdem waren die Diskussionen nicht immer öffentlich. Heute ist es jedoch so, dass die User der sozialen Netzwerke nicht nur sehr häufig ihren Klarnamen verwenden, die Diskussionen sind in der Regel auch öffentlich zugänglich. Das mag nicht für jedes private Facebook-Profil gelten, aber bei den Profilen von Personen des öffentlichen Lebens oder Institutionen ist das durchaus der Fall. Dort finden sich auch die meisten Hasskommentare. So ist eine Hürde der Anonymität gefallen: Die Hassredner veröffentlichen ihre Kommentare so, dass sie für jeden sichtbar sind und dass jeder weiß, dass sie ihn geschrieben haben. Es scheint ihnen egal zu sein, dass jeder – Freunde, Familie, Arbeitskollegen, der jetzige oder sogar der zukünftige Chef- sieht, dass sie im Internet Beleidigungen, Verleumdungen oder falsche Fakten verbreiten. Es scheint kein Hindernis zu sein, dass sie sich der Welt mitunter sogar als rechtsextrem, homophob oder schlicht als unglaublich gemein offenbaren.
Motivation
So ein Kommentar ist ja auch schnell geschrieben. Man liest etwas, gerät darüber in Rage und verfasst eine Antwort, die diese Gefühle zu Ausdruck bringen soll. Auf „Enter“ gerückt und gut ist. Sollten Grenzen dabei überschritten worden sein, müsste spätestens mit dem Erscheinen des Kommentars das Bedauern und die Scham kommen. Sollte. Es muss also, noch mehr dahinterstecken, dass Menschen solche Kommentare verfassen. Einer davon ist, dass sie die Aufmerksamkeit, die sie für den Kommentar ernten und die proportional zum Grad der Boshaftigkeit steht, sehr genießen und diese auch aktiv suchen. Diese Menschen, auch Hater genannt, möchten möglichst auffallen und so ihren Kommentaren die lauteste Stimme verleihen.
Leider hat das zur Folge, dass die, die einfach nur diskutieren möchten, sich erst zurückhalten und dann die Kommentarfunktionen ganz meiden. Das ist eine fatale Entwicklung. Denn so bekommen die Hater mehr Raum, mehr Gehör und das Internet als Diskussionsplattform einen sehr schlechten Ruf. Auch wenn die Anonymität der Verfasser keine Rolle mehr spielt, so spielt die Distanz zum Adressaten sehr wohl eine. Denn ihr wird ja nur geschrieben, man ist nicht im direkten Gespräch mit ihr. Und vor allem: Man sieht ihre Reaktion nicht. Dadurch fallen Hemmungen und Empathie geht verloren. Nicht zu sehen oder zu hören, wie die beleidigte oder bedrohte Person sich fühlt, scheint ein Grund für das Ausmaß an Härte der Kommentare zu sein.
Diskussionsräume zurückerobern
Das Social Media-Team der Tagesschau hat sich genau mit dieser These beschäftigt. Als Institution verfügt die Tagesschau in den sozialen Medien über eine sehr große Reichweite. Als Nachrichtenmagazin steht sie besonders im Zentrum des Interesses und der Kritik. So kommt es, dass ihre Facebook-Seite täglich mehr als 12.000 Kommentare erhält. Leider ist ein Großteil davon so beleidigend und menschenverachtend, dass Beispiele hier nicht gegeben werden. Ein Grund für die Fülle an Kommentaren ist der Umstand, dass in den Nachrichten Themen angesprochen werden, die zum Diskutieren einladen. Das ist an und für sich auch toll und genauso gewollt. Doch locken sie auch besonders schnell die Hater an. Dadurch werden dann den übrigen Usern nach und nach die Diskussionsräume genommen. Dass möchte das Tagesschau-Team ändern. Außerdem möchten sie herausfinden, ob die, die ihren Hass im Internet verbreiten, sich trauen würden, ihre Kommentare den Adressaten auch persönlich zu sagen. Dafür haben sie die Aktion „Sag’s mir ins Gesicht“ konzipiert. Damit fordern die Moderatoren der Tagesschau die Hater quasi heraus. Drei von ihnen, ARD-Chefredakteur Kai Gniffke, NDR-Innenpolitik-Chefin Anja Reschke und ihre WDR-Kollegin Isabel Schayani, stellen sich im live Chat via Skype Anrufern, die sich in Sachen Hate-Speech angesprochen fühlen.
Das Ziel der Aktion ist, den Kritikern zu zeigen, dass jeder Hasskommentar die Gefühle des Adressaten verletzt. Vor allem aber soll der Diskussionsraum wieder denen gegeben werden, die ihn nutzen, ohne zu beleidigen und zu hetzen. Sie soll ein Zeichen gegen Hass setzen und deutlich machen, dass Hater nicht willkommen sind.
Absicht der Hater
Dem Social-Media-Team ist klar, dass sie sich mit einer Minderheit der User beschäftigen. Doch die Inhalte der Hasskommentare und die rechte Hetze sind so beängstigend, dass sie gegen sie kämpfen wollen. Die Anzahl dieser Kommentare variiert, das hängt vor allem von der aktuellen Nachrichtenlage ab. Auffällige Themen sind: Migration, Flucht, USA, Israel, Türkei, Diskriminierung in der deutschen oder europäischen Gesellschaft, Rechte von Frauen und Homosexuellen, sexualisierte Gewalt, wobei die letzten drei Beispiele besonders menschenverachtende Anfeindungen hervorrufen.
Auch die persönlichen Gefühle und der Hintergrund der Moderatoren und Journalisten spielen eine Rolle, denn sie werden sehr oft persönlich angegriffen. Berichten sie doch über Themen des öffentlichen Interesses, sind sie als Privatperson in der Kritik. Ein Beispiel dafür ist Dunja Hayali. Ihr schlugen viele Kommentare nach ihrem Pegida-Berichten entgegen, die sich nicht auf die Berichte, sondern ihr Geschlecht, den Migrationshintergrund ihrer Familie und ihre Homosexualität bezogen.
Die These der Tagesschau wurde in den drei live Videos insofern bestätigt, dass sich zwar recht kritische Anrufer meldeten, aber niemand unter ihnen die Regeln des guten Anstands verletzte. Das Gesicht des Gesprächspartners zu sehen ist mit Sicherheit ausschlaggebend dafür. Doch die Tatsache, dass während der Gespräche Hasskommentare bei Facebook eingingen, die die Journalisten persönlich attackierten, zeigt noch deutlicher, dass die laute Minderheit der Hater und Hetzer sich überhaupt nicht für die Menschen interessiert, auf deren Kosten sie sich ihre vermeintliche Wertschätzung holen. Es geht ihnen auch nicht um eine sachliche Diskussion, dir Darlegung ihrer Argumente. Sie möchten einfach Hass verbreiten.
Was tun gegen Hate-Speech?
Es scheint ausweglos, sich gegen die Hasskommentare zu wehren, doch es zu versuchen und womöglich zu scheitern, ist besser, als nichts zu tun. Justizminister Heiko Maas (SPD) hat einen Gesetzesentwurf gegen Hass im Internet erarbeitet (Netzwerkdurchsetzungsgesetz, NetzDG). Die Betreiber sozialer Netzwerke sollen demnach Hasskommentare innerhalb von 24 Stunden, oder in schwierigen Fällen innerhalb von sieben Tagen, löschen. Sonst droht ihnen ein Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro. Er will ihn bis zur Sommerpause durch den Bundestag bringen. Ob dieses Gesetzt als perfekte Lösung gilt, soll hier nicht beurteilt werden. Es sollte jedoch erwähnt werden, dass sich soziale Netzwerke zwar mit den veröffentlichten Hasskommentaren auseinandersetzten sollten, ihnen darf aber auch nicht die alleinige Verantwortung dafür gegeben werden. Die liegt nämlich bei jedem einzelnen Nutzer digitaler Diskussionsräume. Der richtige Umgang mit ihnen hilft mehr, als die Kommentarfunktion zu meiden. Es reicht schon, den falschen Fakten kurz und deutlich zu widersprechen, dagegenzureden und vor allem den Betroffenen Hilfe anzubieten, sie zu unterstützen. So kann das Internet als Diskussionsraum vielleicht bald wieder der bisher schweigenden Mehrheit gehören, die in nutzt, ohne anderen zu verletzen.
Quellen:
https://www.tagesschau.de/inland/sags-mir-ins-gesicht-109.html
https://live.flyp.tv/tagesschau/sags-mir-ins-gesicht/smig.html
https://www.tagesschau.de/inland/hasspostings-bundestagsdebatte-101.html
https://www.tagesschau.de/inland/facebook-maas-103.html
Der Beitrag Hate-Speech- Eine Verrohung der Diskussionskultur im Internet erschien zuerst auf Materna newmedia BLOG.